· 

„Ich möchte nicht gegen jemanden antreten“

Bürgermeisterin Sandra Pietschmann sagt: „Fronten gab es viel zu lange in Mettmann. Das war nicht zum Wohl der Stadt.“ Sie muss unter anderem den Haushalt sanieren.

 

Presseartikel der Rheinischen Post. Das Interview führte Dirk Neubauer.

 

Bild: Sandra Pietschmann schöpft Kraft aus Klebenotizen. Auf ihnen notiert sie das Für und Wider eines Problems – und kommt so zu Entscheidungen. Foto: Stephan Köhlen

 

Was war der wichtigste Moment in Ihren ersten, knapp 100 Tagen als Bürgermeisterin von Mettmann?

SANDRA PIETSCHMANN Für mich waren die Begegnungen die wichtigsten Momente: der Einzug in mein völlig leer geräumtes Büro mit der herzlichen Begrüßung durch mein Team, der erste Feuerwehreinsatz, mein Einstand auf dem Baubetriebshof, die erste Begegnung mit dem Rat. All das waren tolle Momente. Am meisten ist mir ein Besuch in einer Kita in Erinnerung. Da guckte mich ein Knirps sehr lange an und sagte dann: „So, du bist also die Chefin von Mettmann. Du siehst ganz normal aus.“

 

Ich wollte am Freitag, kurz nach 13 Uhr, etwas nachfragen, da war das Rathaus schon im Wochenende…welchen Eindruck haben Sie von der Verwaltung gewonnen?

PIETSCHMANN Wir fangen an fünf Tagen in der Woche schon sehr früh am Morgen an zu arbeiten. Ich treffe hier sehr viele, extrem engagierte und hochmotivierte Mitarbeiter. Vielleicht gelingt es uns, über mehr Digitalisierung zu noch mehr Bürgernähe zu kommen – und das bedeutet auch, unsere Dienstleistungen länger als bisher anzubieten.

 

Was können Sie im Mettmanner Rathaus bewirken, wo ihnen eine erfahrene Verwaltung gegenübersteht und sie als Parteilose ohne Hausmacht im Rat auskommen müssen?

PIETSCHMANN Ich bin dankbar für die Frage, weil sie mich zu meinem wichtigsten Ziel bringt. Ich möchte nicht gegen jemanden antreten, sondern möglichst viele Menschen erreichen und mitnehmen. Fronten hat es in Mettmann viele Jahre lang gegeben und das war nicht zum Wohl der Stadt. Ich wünsche mir, dass wir offen miteinander diskutieren. Manchmal auch kontrovers. Und dass wir so zu guten Ergebnissen kommen. Das hat viel mit Vertrauen und gegenseitigem Respekt zu tun – über die Fraktionsgrenzen hinweg. Mir geht es nicht um ein Gegeneinander, sondern um ein Miteinander.

 

Sie haben die Einrichtung einer Gesamtschule häufig als eines ihrer Ziele benannt. Nun hat Rat im Anschluss an eine Elternbefragung eine vierzügige Gesamtschule beschlossen. Im Schulentwicklungsplan erachten die Experten jedoch angesichts künftiger Schülerzahlen eine neunzügige Gesamtschule für notwendig. Ist da etwas Falsches, weil zu kleines, beschlossen worden?

PIETSCHMANN Wir haben im November das finalisiert, was Anfang 2020 im Rat beschlossen wurde. Dazu gehörte eine rechtlich verbindliche Elternbefragung, die eindeutig für eine Gesamtschule ausgegangen ist. Der Schulentwicklungsplan kam noch hinzu. Zusammen mit dem Novemberbeschluss hat der Mettmanner Rat eine Reihe von Prüfaufträgen an die Verwaltung erteilt, die wir zurzeit sorgfältig abarbeiten. Dazu gehört auch, die Möglichkeiten für eine sechszügige Gesamtschule auszuloten.

 

Die Initiatoren eines Bürgerbegehrens zum Erhalt der Realschule befürchten, dass die Verwaltung sie ausbremst. Wie bewerten sie solche Befürchtungen?

PIETSCHMANN Ein Bürgerbegehren ist in der Gemeindeordnung klar definiert. Daran halten wir uns als Verwaltung und unterstützen in diesem Rahmen das Bürgerbegehren. Und zwar in allen, in der Gemeindeordnung festgelegten Schritten. Einer davon ist die Kostenschätzung für alle Bürger, damit diese genau wissen, was ihr Votum im Falle eines Bürgerentscheids bedeutet. Die Zahlen müssen korrekt und seriös sein. Eine Machbarkeitsstudie muss daher sorgfältig erarbeitet werden. Grundsätzlich finde ich es gut, Bürger direkt an wichtigen Entscheidungen zu beteiligen und sich konstruktiv zu Wort melden.

 

Muss angesichts der kommenden Schülerzahlen die Realschule nicht doch erhalten bleiben?

PIETSCHMANN Erst einmal finde ich es gut, dass wir so viele Schüler in Mettmann haben werden, dass wir weiterhin beide Gymnasien brauchen. Das stand ja auch mal in Frage. Ich würde gerne die Ergebnisse der Prüfaufträge zur Gesamtschule in Bezug auf Zügigkeit, Standort, Bauweise und Kosten abwarten, um die neuen Erkenntnisse zur Entwicklung der Schullandschaft zu nutzen. Aber auch in dieser Frage gilt – wie für alle anderen Projekte: Mettmann befindet sich in einer extrem angespannten Haushaltslage, in der man die Stadtfinanzen niemals vernachlässigen darf.

 

Zum Haushaltsentwurf für 2021 gab es viel Empörung bei Mettmanns Häuslebauern und Wohnungsbesitzern. Denn sie wollen bei der Grundsteuer B ordentlich zulangen. Hätte man die Zukunftslasten breiter verteilen müssen?

PIETSCHMANN Vor allem wäre es sinnvoller gewesen, sehr viel früher an den Stadtfinanzen zu arbeiten. So gilt, was ich in meiner Haushaltsrede gesagt habe: Es ist jetzt die Zeit zu handeln. Was können wir kurzfristig tun? Die Anhebung der Grundsteuer B um 300 Prozentpunkte wird gleichermaßen von jedem jeden Mettmanner getragen. Wenn wir zusätzlich die Gewerbesteuer anheben würden, träfe es die Unternehmer doppelt – das finde ich nicht gut. Und die Grundsteuer A auf landwirtschaftliche Flächen hat in Mettmann einen Gesamtwert von 80.000 Euro. Veränderungen hier hätten kaum Auswirkungen auf unseren Haushalt. So ist dieser Vorschlag entstanden. Wir alle wissen dabei sehr wohl, dass dies nur ein erster Schritt sein kann, dem viele weitere folgen müssen. Wir müssen nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Nachbarstädten suchen, wir müssen den Verwaltungsapparat kritisch betrachten und wir müssen jede Investition auf den Prüfstand stellen. Doch dies alles sind Maßnahmen, deren Auswirkungen erst mittelfristig spürbar sein werden.

 

Warum leidet der Mettmanner Haushalt seit Jahren unter einem strukturellen Defizit?

PIETSCHMANN Das hat aus meiner Sicht viel mit geänderten Bedürfnissen und Ansprüchen der Gesellschaft zu tun. Das Sicherheitsbedürfnis der Bürger ist enorm gestiegen – das schlägt sich in Brandschutz- und Rettungsplänen nieder. Beim Thema Bildung: Ich bin noch in eine Klasse gegangen mit 36 Kindern, von denen das letzte auf einem Einzelhocker an der Wand saß. Das würde heute nicht mehr akzeptiert werden. Ich finde es richtig gut, dass junge Eltern einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kitaplatz für ihr Kind haben – nur das bedeutet auch, dass wir immer mehr Kitas bauen und mit Personal ausstatten müssen. Dann kommt der Ogata-Anspruch 2025 und da fehlen uns in Mettmann noch 600 Plätze.

 

Schlussfrage: Welche drei Wünsche soll ich ihnen erfüllen?

PIETSCHMANN Ich wünsche mir eine große Portion respektvollen, wertschätzenden Umgang, ein konstruktives Miteinander als Basis für eine die Zukunft und rückblickend würde ich gerne sagen: Wir sind viele Schritte gegangen, einige waren mutig, manche auch schmerzlich, aber unterm Strich hat es sich gelohnt.


INFO: Sportsfrau mit fundierter Bank-Expertise

 

Zur Person Nach dem Abitur absolvierte Sandra Pietschmann 1992 eine Ausbildung zur Bankkauffrau und arbeitete für die Deutsche Bank. Seit 2004 war sie für den Sportverein „Mettmann-Sport“ tätig, seit 2008 als Geschäftsführerin. Seit 2006 ist sie zudem Sportfachwirtin.

 

Bei den Kommunalwahlen 2020 wurde Sandra Pietschmann von CDU und SPD als Bürgermeister-Kandidatin nominiert. In einer Stichwahl gewann sie gegen den parteilosen Amtsinhaber Thomas Dinkelmann mit 57,7 Prozent. Pietschmann ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Ratingen.